Jenseits der Vernunft
Esoterik
Glauben Sie auch nicht an Uri Geller & Co.? Der Trend zum Übersinnlichen macht das Leben auf jeden Fall bunter.
Schon als Kind hatte sie so was wie einen sechsten Sinn. Und hätte Fiona Horne, 42, darauf nicht vertraut, wäre Jennifer Aniston nie der Darling der Oscar-Nacht 2009 geworden. So schön, dass sie Ex-Mann Brad Pitt und Ex-Feindin Angelina Jolie locker überstrahlte.
Aber von vorn: Fiona Horne ist Hollywoods berühmteste Hexe. Eine ohne Buckel und Warze auf der Nase. Sie ist blond und attraktiv. Sieht aus, als sei sie selbst ein Star. Ein Jahr murmelte sie Jen Zauberformeln ins Ohr. Trocknete ihre Trennungstränen und bekräftigte Woche für Woche: "Nicht Brad ist deine große Liebe. Da wird einer kommen, der hat mehr. Und du wirst glücklicher sein." Ihren 40. feierte Jen liebestaumelnd in den Armen von Musiker John Mayer (31). Sie träumt von der nächsten Hochzeit. Ja, sie ist wieder glücklich. Klingt wie Zauberei, hat auch funktioniert. Wie so viel, das wir sehen und nicht erklären können.
Zehn Milliarden Euro für das Seelenheil
Die Suche nach Magie, nach Spiritualität, Sinn und Übersinnlichem boomt wie nie. Tippt man das Wort Esoterik (dt. Lehre der Mystik) in die Internet−Suchmaschine "Google" ein, spuckt die mehr als 12 Millionen Einträge aus. 10 000 Ratgeber am deutschen Buchmarkt handeln von Engeln, Schutzgeistern, Schamanen, Heilern und Hellsehern. Im TV verfolgten Millionen, wie junge Magier die Nachfolge von Uri Geller (62) antreten wollen.
Den Reigen der TV-Kommissare komplettiert "The Mentalist", ein US-Ermittler, der Gedanken liest, um den Mörder zu finden. Magie ist überall.
Gebildet und nicht arm − so sind die neuen Sinnsucher
An Laternenmasten laden Zettel zur Aura-Reinigung ein. In Kleinanzeigen wie Local24 können wir Hellseher nach Hause bestellen. Wirtschaftskrise hin, Sparwillen her: Den Deutschen sind Klangschalen, Pendel oder schamanistische Sitzungen was wert. Sie ließen sich all den Zauber im vergangenen Jahr rund zehn Milliarden Euro kosten.
Die modernen Sinnsucher sind zwischen 30 und 45, gebildet und wohlhabend. Das sagt eine Studie der Dresdner Bank.
Und: Wenn sich das Leben ändert − die Scheidung eingereicht ist oder die Kinder ausziehen, wenden sich vor allem Frauen übersinnlichen Welten zu. Suchen nach dem, was der Verstand nicht greift, die Seele aber glücklich werden lässt.
Unsere Zeit musste diese Sinnsucher hervorbringen. Denn in wirtschaftlich unsicheren Phasen vermuten die Menschen das Glück nicht im Geld. So wird weder die Designerhandtasche noch die Penthouse−Wohnung mit Panorama−Blick als Reichtum empfunden.
Der wahre Luxus ist heute, sich selbst zu kennen und ein Leben mit Sinn zu führen. In den festgefahrenen Amtskirchenkatholisch wie evangelisch − finden viele diesen Sinn einfach nicht. Denn der Glaube wird nicht mehr fraglos übernommen. Er wird zusammengemixt − aus allem, was zum eigenen Leben passt.
So kommt es, dass die neuen Buddhistinnen durchaus Sportwagen fahren, statt Mönchsgewand coole Edel-Jeans tragen, mit Engelsfiguren die Fensterbank dekorieren und sich bei der Kartenlegerin ihres Vertrauens die Zukunft voraussagen lassen.
Erlaubt ist, was guttut.
Viel hilft viel.
Ausprobieren hat noch nie geschadet.
So oder so ähnlich lauten die Glaubenssätze der neuen Mystikerinnen. Hinzu kommt: Die Menschen wollen an ihre eigene Kraft glauben. Sind überzeugter denn je, dass sie selbst am besten wissen, was richtig für sie ist. "Wir erleben gerade einen echten Wandel. Weg von der Kultur der aufgeklärten Rationalität, hin zu einer Kultur der Intuition", sagt Maria Widl, Professorin für katholische Theologie an der Universität Erfurt. Will heißen: Nicht der Verstand, sondern der Bauch gibt bei Entscheidungen heute den Ton an.
Wie alle Trends finden wir diesen wirklich überall. Und wer mal genau hinschaut, entdeckt wirklich komische Geschichten: So baute zum Beispiel die Sparkasse im westfälischen Hagen eine neue Firmenzentrale nach Feng-Shui-Prinzipien. Fünf Millionen kostete der Prestige-Bau. Das Karma mag stimmen. Aber die Bosse, die das neue Haus bewilligten, thronen jetzt nicht repräsentativ über dem verglasten Portal. Ihre Büros befinden sich eher bescheiden in einem Seitentrakt. Die chinesischen Kaiser wirkten auch eher im Verborgenen, begründete der esoterische Berater des Architekten seine Planung.
Oder wir schauen in den Supermarkt: Können Sie sich vorstellen, fünf Euro für ein Glas Senf auszugeben? Für "Nachtwächter Senf" müssten Sie das. Seine Körner sind ausschließlich bei Vollmond gemahlen. Das soll die Schärfe verbessern und den Senf einfach übersinnlich gut schmecken lassen. Auch ein Tiroler Spitzenwinzer orientiert sich bei der Produktion seines Bio-Weines an den Mondphasen. Und beschallt die Fässer dazu noch mit Bachs Brandenburgischen Konzerten. Schaffen soll das Weine voller Harmonie.
Es sind eben nicht nur Menschen für Schwingungen empfänglich, sondern scheinbar auch Weintrauben − wer weiß das schon ...
Und dann wäre da noch der Schweizer Luxusuhren−Hersteller: Der schickt seinen Guru in den Wald zum Bäumeumarmen. Dann fällt man die "auserwählten" Bäume und fertigt Uhren daraus. Mit der Guru−Geschichte bringen sie gut das Doppelte ein.
Ist nicht jeder von uns auch voller Magie?
Klar, Esoterik ist eine Glaubensfrage: Wir müssen selbst entscheiden:Wer will uns helfen, und wer will uns nur abzocken? Und was von all dem, was Hexen, Seher, Schamanen oder Magier können, schaffen wir vielleicht auch selbst?
Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, wenn eine Freundin nach einer Trennung leidet wie Jennifer Aniston. Braucht sie dann jemanden, der ihr immer wieder ins Ohr murmelt: "Du wirst wieder glücklich sein", dann könnten auch wir der Guru sein, der das tut. Und wenn sie sich wieder verliebt, hat das nichts mit Hexerei zu tun. Vielleicht aber mit einer zauberhaften Freundin.